Werdende Mütter, die schon vor der Schwangerschaft z.B. immer wieder mit Depressionen zu kämpfen hatten, können auch während der Schwangerschaft unter depressive Episoden leiden. Ebenso sind Frauen, die eine psychische Erkrankung wie etwa Bulimie oder der Borderline-Persönlichkeitsstörung haben, sind leider nicht davor geschützt, dass die Symptome ihrer Erkrankung auch im Zuge der Schwangerschaft auftreten.
Selbstverletzendes Verhalten (SVV) in der Schwangerschaft: Symptome, Therapieformen und Behandlungsmöglichkeiten
Definition von SVV
Bei manchen dieser psychischen Erkrankungen können bestimmte Verhaltensweisen auftreten, die – vor allem auch wenn sie bei Schwangeren vorkommen – immer wieder stark tabuisiert sind. In der Öffentlichkeit sowie in den Medien wird immer wieder suggeriert und kommuniziert, werdende Mütter seien stets glücklich, ausgelassen und voller Vorfreude auf das Baby. Die Realität bei psychisch kranken oder vorbelasteten Schwangeren sieht oft aber anders aus, was gesellschaftlich ein Tabu darstellt, über das man nicht spricht: die Rede ist von selbstverletzendem Verhalten (SVV), auch als autoaggressives Verhalten bezeichnet. Dabei bedarf es gerade bei diesen Symptomen einer offenen Kommunikation, damit betroffene Menschen schnell die passende Hilfe bekommen und wissen, an wen sie sich wenden müssen.
SVV steht für eine Vielzahl an Verhaltensweisen, bei denen sich Menschen bewusst und ganz absichtlich Verletzungen und Wunden zufügen. SVV kann bei einer ganze Reihe an Störungen und Erkrankungen auftreten, oft im Rahmen von Depressionen, einer Borderline-Erkrankung, nach traumatischen Erlebnissen und Erfahrungen, Bulimie, Psychosen oder auch als Zeichen einer Zwangsstörung. Ebenso kann die Art und Weise, wie sich die betroffene Menschen Selbstverletzungen zufügen, vielfältig sein. Zu den häufigsten Arten von Selbstverletzungen zählen:
- das sich selbst kratzen, ritzen oder schneiden
- sich verbrennen oder verbrühen
- das „Kopfschlagen“ (entweder mit den Händen oder Gegenständen gegen den Kopf schlagen oder diesen z.B. gegen Wände schlagen)
- sich selbst Haare ausreißen
SVV beginnt zumeist in der Pubertät
Betroffene sind dabei Männer und Frauen, wobei Frauen öfter von Selbstverletzungen betroffen sind. Untersuchungen haben ergeben, dass sich das SVV schon sehr früh zeigt, häufig am Beginn der Pubertät zwischen 11 und 13 Jahren. Fast die Hälfte aller weiblichen Selbstverletzer beginnt laut der Website www.rotelinie.de – einem Kontakt- und Informationsportal für Betroffene und Angehörige – mit 14 Jahren mit dem SVV, also während der Hochphase der weiblichen Pubertät. Die Dauer der Selbstverletzungen variiert dabei sehr stark und ist abhängig von der Intensität der Erkrankung und ob z.B. rechtzeitig Hilfe aufgesucht wird. Laut rotelinie.de verletzen sich knapp 40 Prozent der Betroffenen mindestens fünf Jahre lang, rund 15 Prozent leiden sogar zehn oder mehr Jahre unter den Selbstverletzungen. Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland rund 800.000 Menschen aktuell von SVV betroffen sind.
Auslöser und Ursachen des SVV
Auslöser können beim ersten Auftreten dabei – für Außenstehende – oft recht harmlos wirkende Ereignisse sein. In der Pubertät sorgen die emotional angespannten Phasen und die hormonellen Veränderungen aber durchaus für eine derart verzerrte Wahrnehmung und Überempfindlichkeit, dass es zur Überreaktion und schließlich zum SVV kommen kann. Diese Ereignisse sind nicht der Grund für die Selbstverletzungen, sonderlich lediglich der Trigger, d.h. sie sie sind der Tropfen, der das Wasser zum überlaufen bringt und letztlich „nur“ der Auslöser. Eine hormonelle Ausnahmesituation sowie extreme körperliche Veränderungen durchleben werdende Mütter auch während der Schwangerschaft. Daher können Frauen, die früher bereits SVV zeigten, in diesen Phasen auch wieder anfälliger für die Selbstverletzungen sein.
Ursachen für SVV sehen Mediziner, Neurologen und Therapeuten oft in der Kindheit. Nicht bearbeitete Konflikte, unterdrückte Gefühle, Vernachlässigung oder traumatische Erlebnisse wie sexuelle Misshandlung, können die Gründe dafür sein.
Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten
Wie bei jedem Symptom einer psychischen Erkrankung bzw. ganz allgemein einer psychischen Problematik, ist es wichtig, so früh wie möglich professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Chance auf eine Verbesserung der Lebensqualität sowie Linderung der Symptome und des Leidensdrucks sind durchaus hoch, solange der Betroffene nur – als wichtige Voraussetzung – aus freien Stücke und selbst Hilfe will und diese auch annimmt. Wie bei allen psychischen Auffälligkeiten und Krankheiten gilt: je früher professionelle Hilfe gesucht wird, desto besser.
Eine sinnvolle und wiederholt sehr hilfreiche Art der Behandlung ist die Psychotherapie. Die Psychotherapie bietet hier einige ihrer Ansätze, die sich bei der Behandlung von SVV besonders eignen:
- die tiefenpsychologisch fundierte Gesprächstherapie
- das psychoanalytische Verfahren (Psychoanalyse)
- Verhaltenstherapie
- traumazentrierte Therapie
- Körpertherapie
Wie die richtige Therapieform finden?
Wenn man als betroffener Mensch keine Erfahrungen mit Therapien hat und nicht weiß, welches Verfahren sich für einen selbst am besten eignet, der hat die Möglichkeit, eine psychosoziale Beratungsstelle aufzusuchen. Dort arbeiten Experten, die sich mit den unterschiedlichen Therapieformen auskennen und dabei helfen, das richtige Verfahren für einen selbst zu finden. Darüber hinaus gibt es psychosoziale Beratungsstellen und Verbände, die darauf spezialisiert sind, auch Schwangeren bei psychischen Problemen Unterstützung zu bieten und die entsprechenden Ansprechpartner zu finden. Eine solche Stelle ist z.B. „pro familia“, der führende Verband zu den Themen Sexualität, Partnerschaft und Familienplanung hierzulande, der flächendeckend das größte Beratungsnetz in Deutschland betreibt. Unter „profamilie.de“ finden sich umfangreiche Infos, auch hinsichtlich psychosozialer Beratung für werdende Mütter.
Um eine passende Therapieform zu finden, kann man natürlich auch das klärende Beratungsgespräch in Krankenhäusern, Frauenzentren oder beim sozialpsychiatrischen Dienst suchen. Wichtig hier ist zu wissen: nicht nur die Betroffenen selbst, auch Angehörige, Freunde oder Arbeitskollegen können sich an die Sozialpsychiatrischen Dienste wenden. Mehr Informationen dazu gibt es unter www.sozialpsychiatrische-dienste.de.
Online-Communities bieten schnelle Hilfe
Immer wieder finden Betroffene, die unter SVV leiden, auch Unterstützung in Selbsthilfegruppen, in denen sie häufig wichtige Informationen bzgl. der richtigen Anlaufstellen, bekommen. Sich mit Leidensgenossen, Gleichgesinnten oder vielleicht Personen auszutauschen, die von ihrem Leiden bereits befreit sind, kann für positive Effekte bei einem selbst sorgen. Und nicht zuletzt gibt es im Internet auch eine ganze Reihe an Communities, Plattformen und Internet-Initiativen für Betroffene von SVV sowie deren Angehörige. Sie haben das Konzept der „gegenseitigen Hilfe“ zum Ziel und bieten umfangreiche, weiterführende Infos zu Ursachen, allgemeinen Fragen, zur praktischen Selbsthilfe und den Behandlungsmöglichkeiten. Foren bieten zudem die Möglichkeit des gegenseitigen Austauschs und der Kommunikation mit anderen Angehörigen oder Betroffenen. Zwei der bekanntesten Selbsthilfe-Portale zu dem Thema sind „www.rotetraenen.de“ und „www.rotelinien.de“.
Diese Online-Angebote sind vielfach eine erste, wichtige Anlaufstelle für Betroffene, die sehr schnell aber anonyme Hilfe und Ratschläge suchen.
Bildnachweis: © Fotolia – Titelbild Astrid Gast, #1 altix5